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Wie alles begann

Dass ihr Sohn Peter nur wenige Jahre später den Grundstein legen würde für ein Unternehmen, dass eines Tages vom Kolonialwarenladen und Saatenhandel zu einem der bedeutendsten Kaufmannshäuser Lippstadts - und später noch - zu einem der größten Großhandelsunternehmen Nordrhein-Westfalens werden würde, konnte die besorgte Mutter damals nicht ahnen.

“Lieber Peter,
du willst so gerne sehen, dass dein Vater dir schreiben soll, aber du musst noch ein wenig Geduld haben. Er kann es noch nicht. Wir hatten die Hoffnung, du sollst ein tüchtiger Kaufmann werden, aber die Hoffnung hast du uns genommen. Du hattest gewiss Gott vergessen, wie du solch eine Sünde begingst. Peter, Peter, was hast du getan? Welche traurigen Stunden hast du uns bereitet, und was war es für dich, so aus dem Haus zu gehen ohne Lehrbrief und ohne dir Glück und Segen zu wünschen.
Doch ich habe dir vergeben. Dein Vater wird es auch tun. Die Zeit wird den Gram lindern. Übrigens, halte dich gut. Sei ein braver Soldat, sehe aber zu, dass du gute Kameraden hast und nehme gute Sitten an…”

Diesen Brief schreibt Margaretha Brülle am 25. Januar 1847 an ihren Sohn Peter, der im Alter von 21 Jahren sein Elternhaus in Lippstadt verlassen hatte, um in Wesel Soldat zu werden. Offenbar hatten seine Eltern etwas anderes mit ihm vorgehabt, schließlich entstammte Peter Brülle einer alten Lippstädter Kaufmannsfamilie. Seine Eltern hatten ein Korngeschäft und viele seiner Vorfahren waren Kaufleute – darunter Hermann Brülle, der 1652 ins Lippstädter Metzgeramt eingetreten war. Er hat mit seinem Namen zum ersten Mal die Hausmarke der Familie Brülle bekannt gemacht. Das Fenster im Metzgeramtshaus stammt aus dem Jahr 1670. Später waren zahlreiche Mitglieder der Familie Brülle im Laufe der Jahrhunderte Mitglieder im Metzgeramt und werden als solche urkundlich erwähnt, beispielsweise Johann Diedrich Brülle 1763, Dietrich Brülle 1808 und Franz Brülle 1809. Peter Brülle wurde als 333. Mitglied 1860 aufgenommen. Heute sind vier Mitglieder der Familie Brülle im Metzgeramt, darunter Allan Brülle, der 1964 geborene Ur-Ur-Enkel von Peter Brülle.

Dass ihr Sohn Peter nur wenige Jahre später den Grundstein legen würde für ein Unternehmen, dass eines Tages vom Kolonialwarenladen und Saatenhandel zu einem der bedeutendsten Kaufmannshäuser Lippstadts – und später noch – zu einem der größten Großhandelsunternehmen Nordrhein-Westfalens werden würde, konnte die besorgte Mutter damals nicht ahnen. Nein, sie wurde nicht einmal Zeugin der Rückkehr ihres Sohnes in die Heimatstadt. Im Jahr 1848, ein jahr nachdem sie ihrem Peter schriftlich das Verlassen des Elternhauses “ohne Lehrbrief” verzieh, starb Margaretha Brülle im Alter von 55 Jahren an “Nervenfieber”, also vermutlich Typhus. Den jungen Mann plagten daraufhin die Gewissensbisse und Zweifel an seiner Entscheidung, Soldat zu werden und nicht einen anderen Beruf ergriffen zu haben. Das dokumentiert ein Brief, den er am 26. Juli 1849 aus Wesel an seine Schwester Julie Modersohn schreibt:

“Liebe Schwester!
Das Herz ist mir manchmal zu voll. Besonders gerade heute, wo ich schon wieder ein Jahr zurücklege. Schon 23 und noch nicht gewirkt, schon ein Mann und doch ein Kind…
Schon 23 Jahre und noch nicht sich selbst ernähren können. Doch ich hoffe, sehr lange wird das nicht mehr dauern. Ich habe mich schwer vergangen. Soll ich dies mir immer vorwerfen lassen? Und dies haben meine Brüder jetzt getan. So soll mir das Leben angenehm sein? Soll es mir angenehm sein, in ihrer Nähe zu leben?…Meines Bleibens ist in Lippstadt nicht…Meine einzige Hoffnung ist, dass wir Krieg bekommen, dann ändert sich, muss sich vieles ändern.”

Doch nichts kommt so, wie es kommen soll

Die Hoffnung von Peter Brülle erfüllt sich zum Glück nicht. Preußen zieht nicht in den Krieg und Peter Brülle besteht sein kaufmännisches Examen mit Hilfe seiner vorgesetzten Offiziere in Wesel, die ihn für diese Zeit vom Dienst freistellen. Nach seiner Dienstzeit muss er um 1850 herum nach Lippstadt zurückgekehrt sein. Am 01. Mai 1853 eröffnete der 27jährige in der Langen Straße 93 (noch heute gehört das Haus einem Mitglied der Familie Brülle, darin ist heute das Sanitätshaus Beumer Wicker untergebracht) einen Kolonialwarenladen, wo er auch Kohlen verkaufte. Der Lippstädter “Patriot” brachte in seiner Ausgabe vom 10. Mai die Eröffnungsanzeige über ein “Colonialwaaren- und Landesproducten-Geschäft”.

Peter Brülle beschäftigte sich aber gleichzeitig auch mit landwirtschaftlichen Saaten und Gartensämereien – damals ein einträgliches Geschäft, weil ein Großteil der Bevölkerung eine kleine Nebenerwerbes-Landwirtschaft betrieb. Sein Sortiment umfasste auch Drogen, Farben, Lacke und Pinsel, Tafel- und Spiegelglas. Seine Kolonialwarenabteilung stellte besondere Artikel wie Schokolade, Kakao, chinesische Tees, deutsche und französische Cognacs, medizinische Weine sowie Zigarren und Zigaretten heraus.

Als Peter Brülle sein Unternehmen in der Langen Straße ansiedelte, war Lippstadt eine Stadt, der es wirtschaftlich gut gin: Die Bevölkerungszahlen waren in den Jahren zuvor schneller angestiegen als jemals vorher. Erst 1849 hatte eine Volkszählung ergeben, dass die Stadt 4845 Einwohner hatte: 2808 Katholiken, 1963 Protestanten und 74 Juden. Der Handel stand in dieser Zeit in voller Blüte: Lippstadt war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer der Haupt-Kornmärkte Westfalens. Die im Dezember 1837 erzielten Preise für einen Scheffel Erbsen bewegten sich zwischen einem Taler und 8 Silbergroschen und einem Taler und 20 Silbergroschen, während für einen Scheffel Kartoffeln zwischen neun und 15 Silbergroschen bezahlt wurden. Weil die Stadt über ausgedehnte Weideflächen an der Lippe verfügte, handelte Lippstadt traditionell mit Mastvieh und Butter. Um den Bedarf an Militär-Pferden zu decken, fanden jedes Jahr in mehreren Städten Pferdemärkte statt, so auch in Lippstadt. Viele der dort gehandelten Pferde stammten vom Gut Mentzelsfelde.

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